Zurück ins Leben finden - Die Botschaft der Trauer annehmen und wieder Lebensfreude spüren - Mit 11 Gedankenreisen zum Anhören

Zurück ins Leben finden - Die Botschaft der Trauer annehmen und wieder Lebensfreude spüren - Mit 11 Gedankenreisen zum Anhören

von: Sandra Stelzner-Mürköster

Gütersloher Verlagshaus, 2024

ISBN: 9783641315450 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Zurück ins Leben finden - Die Botschaft der Trauer annehmen und wieder Lebensfreude spüren - Mit 11 Gedankenreisen zum Anhören


 

Vielleicht kämpfst auch du gerade mit einem Bild von dir, dem ein entscheidendes Stück fehlt?

›Es fehlte mir ein ganz wichtiger Teil‹, dachte ich nach dem Tod meines Mannes. Der Teil, der dieses Bild zu einem Ganzen werden lässt und die einzelnen Teile verbindet. Ja, ich hatte das Gefühl: Ich erkenne mich nicht mehr, ich weiß nicht mehr, was mich ausmacht und was ich überhaupt kann. ›Wer bin ich überhaupt ohne dich?‹, fragte ich mich. ›Und wie kann ich diese Lücke wieder füllen, mich und dieses Leben erfüllen? Denn dieser fehlende Teil bist du!‹

Ich fühlte mich innerlich zerbrochen, nicht mehr komplett und konnte mich nicht mehr greifen. Ich konnte mich kaum noch anschauen. Denn ich wusste gar nicht, wer hier vor mir stand. ›Hilf mir, unterstütze mich, dieses fehlende Puzzlestück in mir zu finden: Ich suche dich … und ich warte geduldig auf den Moment, in dem ich mich wieder sehen kann‹, flehte ich dich an. Schließlich fühlte ich in dem Moment nur Schmerz und sah nur Dunkelheit um mich herum. Daher fragte ich mich in meiner Not:

»Wann, Schmerz, hörst du wieder auf, in meiner Brust zu pochen?«

»Wann wird das Atmen wieder leichter?«

»Wann wird mich nicht jeder Atemzug an das erinnern, was vergangen ist?«

»Wann werde ich mich wieder wie ein Mensch fühlen?«

»Wann kommt der Zeitpunkt, an dem ich wieder nach vorne sehen kann und nicht nur auf das, was vergangen ist?«

»Wann lerne ich, das zu akzeptieren und anzunehmen, was ist, und mich nicht mehr so gelähmt zu fühlen?«

»Wann kommt der Zeitpunkt, an dem nicht die Angst, sondern die Liebe und Freude mich wieder leiten können und leiten werden?«

»Wann werde ich die Welt, wie sie ist, wieder als meine Welt erkennen und wieder Sinn finden?«

»Wann kann ich dich, ›lieber‹ Schmerz, wieder loslassen?«

Ich wünschte mir so sehr, Antworten auf all diese Fragen zu finden, denn sie waren meine Hoffnung. Sie waren das, was mich weitermachen ließ! »Bitte zieh weiter, wenn die Zeit dafür gekommen ist, und lass mich das Leben wieder leben«, bat ich meinen Schmerz und stellte immer und immer wieder genau diese Fragen. Ich kenne sie. Ich kenne auch ihre Kraft und Macht. Und gleichzeitig enthalten sie eines – ein Stück Hoffnung, dass es eine Zeit geben wird, in der sich dieser Zustand leichter anfühlen wird!

Trauer ist nicht dein Feind. Sie ist eine Botschaft an dich – die Botschaft weiterzuleben. Sie hat einen starken Aufforderungscharakter, denn die Radikalität ihres Wesens impliziert eines ganz deutlich: Veränderung. Die Annahme und Akzeptanz dieser Veränderung können nur durch Vertrauen und Öffnung geschehen. Lehnen wir sie ab, führt das zu Verbitterung. Das ist meine Erfahrung. Dazwischen gibt es nichts. Denn ich kann nicht ein bisschen vertrauen oder ein bisschen annehmen. Es erfordert ein klares Bekenntnis zu deinem Leben, zu deiner Gegenwart, um wieder Frieden und Glück in dir zu finden. Empfindest du dein Schicksal ungerecht, ist das eine andere Haltung, die dazu führt, dass das Leben beschwerlich und feindlich wird. Um diesen Prozess, diese Wahl besser verstehen zu können, lade ich dich ein, im folgenden Kapitel mehr über das Wesen der Trauer zu entdecken.

Mein persönlicher Abschied

Als ich gerade einmal 30 Jahre alt war, änderte sich innerhalb von drei Tagen mein Leben radikal. Wir schreiben das Jahr 2007. Es ist ein Montag Ende November. Die Vorbereitungen für die Adventszeit stehen an und die Luft riecht bereits nach Advent. Es soll das erste Weihnachten werden, das wir als kleine Familie feiern. Und diesmal wollen meine Eltern wirklich zu uns nach Bayern kommen.

Bis dahin war mein Leben für mich nahezu perfekt. Ich lebte meinen Traum: Ich war mit dem großartigsten Mann verheiratet, den ich mir je erdenken konnte, und wir hatten einen süßen kleinen Sohn. Der war gerade sechs Monate alt, ich mit der Ausbildung zur Gymnasiallehrerin fertig, hatte einen festen Job, eine tolle Wohnung und ich konnte mit meinem Mann herrlich über die Zukunft sinnieren. Wir konnten träumen und uns ausmalen, was uns noch alles gemeinsam erwarten würde. Gleichzeitig liebte ich an meinem Mann, dass er mich in meinem Sein voll und ganz unterstützte. Er ergänzte mich perfekt und übernahm dort Aufgaben in meinem Leben, wo ich selbst Defizite hatte und auch heute noch habe. Wir waren auch nach außen hin das perfekte Paar. Meine Schwiegermutter beschrieb uns einmal als Schraube und Mutter, einfach wie zwei Teile, die unbedingt zusammengehören. Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, kommt es mir mitunter surreal vor: Ich blicke auf ein Leben, das mir wie ein anderes Leben erscheint. Ich fühlte mich noch so furchtbar jung und in vielen Dingen auch unerfahren.

An jenem Montag also wollte mein Mann vor dem Mittagessen kurz joggen gehen: »Ich werde nur eine kurze Runde laufen«, waren mehr oder weniger die letzten Worte, die er zu mir sprach. Tim, unser Sohn, bekam noch einen schnellen Kuss auf die Stirn, ich einen Abschiedskuss, bevor er schon aus der Tür draußen war. Wie sich später herausstellte, kam er wohl nicht weit.

Dieser Tag lässt sich im Nachhinein als der erste Tag meines bzw. unseres neuen Lebens beschreiben. Olaf sollte nie wieder von dieser Joggingrunde nach Hause zurückkehren. Innerhalb von drei Tagen war mein Leben nicht mehr das, was ich bis dahin kannte, nicht mehr das, was mir überhaupt vertraut war. Nichts, aber auch gar nichts mehr sollte noch einmal so werden, wie es zuvor war. Ein kurzer Augenblick änderte alles. Ich saß zu Hause und wartete auf ihn und ärgerte mich irgendwann, weil er einfach nicht zurückkam. Ich dachte nur: ›Was soll das denn? Du weißt doch, dass ich mit dem Essen auf dich warte?‹ Doch er kam und kam nicht. Plötzlich klingelte es an der Haustür. In der Hoffnung, dass mein Mann nun endlich den Weg nach Hause gefunden hatte, öffnete ich. Doch Fehlanzeige! Stattdessen stand meine aufgelöste Nachbarin in der Tür und teilte mir mit, dass die komplette Straße ganz in der Nähe von uns abgesperrt sei, da man dort einen toten Jogger gefunden habe.

Diesen Moment, der durch ein furchtbares Gefühl der Gewissheit begleitet wurde, werde ich nie vergessen. Ich erstarrte innerhalb von Sekunden, da ich genau spürte, dass etwas Schreckliches geschehen war und der Jogger mein Mann sein musste. Ich erwiderte in einer innerlichen Unruhe, die auch heute noch hochkommt, wenn ich an diesen Moment denke, dass Olaf schon lange zu Hause sein wollte und ich ihn dringend erwarten würde. Diesen Moment des Lebens, der so unendlich schrecklich war, nehme ich auch heute nur noch durch eine Art Nebel »gefiltert« war. Ich war wie gelähmt, sonst hätte es mir buchstäblich das Herz zerrissen.

Ich wurde dadurch ruhig, sehr ruhig – zumindest nach außen hin. Meine Nachbarin schrie: »Du musst anrufen! Du musst unbedingt anrufen!!« Ich antwortete aus meiner vermeintlichen Ruhe, wo ich denn anrufen solle? Schließlich schoss mir der Gedanke wie ein Blitz in den Kopf, dass ich unbedingt die Polizei kontaktieren müsse, um Genaueres zu erfahren. Als ich dort anrief und sagte, dass ich meinen Mann vermisse, dessen übliche Joggingstrecke durch die Waldstraße ging, wurde es am anderen Ende ebenfalls sehr ruhig. Man teilte mir mit, dass er einen Herzinfarkt gehabt habe, er wiederbelebt wurde und nun im nahegelegenen Krankenhaus liege. Es sei ernst, sehr ernst. Ich solle dort unbedingt gleich hinfahren, zumal er auch keine Papiere bei sich habe. Als ich daraufhin sagte, dass ich nicht ins Krankenhaus könne, da ich einen Säugling zu Hause zu betreuen hätte, der gerade Mittagsschlaf mache, hörte ich am anderen Ende der Leitung nur einen tiefen Seufzer und ein »Oh, Gott«. Man versprach mir, einen Beamten zu schicken. Ich war wie gelähmt, konnte kaum mehr atmen, spürte mehr und mehr eine innerliche Versteinerung.

Statt des Streifenbeamten kam mein Nachbar, der auch bei der Kripo war. Ich bin ihm heute noch sehr dankbar, dass er mich einfach nur ganz fest in den Arm nahm. Die darauffolgenden Stunden sind mir größtenteils nicht mehr greifbar. Ich kann mich nur bruchstückhaft an bestimmte Personen und Ereignisse erinnern. Ich versuchte, mich zu beschäftigen, nicht durchzudrehen, alles zu regeln, was möglich war, um endlich ins Krankenhaus zu können. Unser Hausarzt kam mit seiner Frau, sprach auch sehr deutlich zu mir, wie ernst die Lage sei. Ich verständigte die Eltern meines Mannes, sowie meine Eltern, die beide rund 600 Kilometer von uns entfernt wohnten.

An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwann kam die Nachricht, dass mein Mann mit dem Hubschrauber in die Uniklinik München gebracht werde, da die Behandlungsmöglichkeiten in Wolfratshausen zu begrenzt seien. Ich weiß nur, dass ich zwischen Wahnsinn und Verrücktsein, innerer Versteinerung und Bangen und Hoffen schwebte – ich war haltlos!

Gegen Abend konnte ich endlich zu ihm auf die Intensivstation der Uniklinik. Bis heute weiß ich nicht mehr genau, wie ich dorthin gekommen bin und wer mich begleitete. Auf der Intensivstation versuchte Dr. Engelmann (Name geändert), mir die Schwere der Lage zu erklären, bevor ich meinen Mann sehen durfte. Er sagte, dass Olaf im Koma liege und man ihn auf ein Eisbett gelegt habe in der Hoffnung, dass sich durch das Herunterkühlen sein Gehirn erholen würde. Der Zeitpunkt der Reanimation sei jedoch so spät gewesen, dass man Schäden am Gehirn nicht ausschließen könne. Das Gehirn sei geschwollen und zudem wäre der Kiefer durch den Sturz gebrochen, der infolge des Herzinfarktes geschah. Nie werde ich den Anblick vergessen, der sich mir bot, als wir endlich zu...