Der Ruf des Ghul

Der Ruf des Ghul

von: H.C. Scherf

tolino media, 2022

ISBN: 9783754671825 , 248 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 2,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Der Ruf des Ghul


 

3

»Jetzt bleiben wir mal ganz ruhig«, versuchte Lars, den ersten Schock über diese Nachricht abzuschwächen. Das gelang ihm allerdings nicht bei Holger, dessen Gesicht eine ungesunde Blässe angenommen hatte. Immer wieder fuhr er sich fahrig durch das lange fettige Haar, dem eine Wäsche wieder einmal guttun würde. Sein Blick irrte durch den Raum, schien nach einem festen Halt zu suchen. Sigrid rückte näher heran und legte einen Arm um seine Schulter. Es konnte der Eindruck entstehen, dass er der Welt komplett entrückt war. Sigrids Stimme drückte die Sorge aus, die sie in diesem Augenblick befallen hatte, obwohl sie das Mädchen nicht kannte. Doch schien die Tatsache, dass sie entführt worden war, ihren Sohn sehr zu berühren. Grund genug, sich um ihn zu kümmern.

»Holger, verstehst du mich? Du musst uns erklären, was gerade passiert ist. Wer war das am Telefon und was genau wollte derjenige von dir?«

Als der Junge noch immer keine Anstalten machte, den Mund zu öffnen, versuchte es Lars auf die etwas härtere Tour.

»Verdammt, Holger, deine Mutter hat dich etwas gefragt. Sie erwartet eine Antwort. Und ich verlange das ebenfalls von dir. Du kannst nicht einfach hier auftauchen, Hilfe erbitten und dann einfach abschalten, als wären wir gar nicht da. Sprich endlich mit uns. Was ist mit Viola?«

Nur langsam normalisierte sich der Blick von Holger und Lars hatte berechtigte Hoffnung, dass sie nun etwas über den Verbleib der Freundin erfahren würden. Mit Sorge bemerkte er jetzt die Tränen, die Holgers Augen füllten.

»Sie haben Viola.«

»Nun, mein Junge, das haben wir mittlerweile auch begriffen. Du sagtest es bereits.«, erwiderte Lars und verdrehte die Augen. »Geht das auch etwas genauer? Wo ist sie und von wem sprichst du, wenn du von den Entführern sprichst? Meinst du damit diesen Junis?«

»Ich kann dir das nicht sagen. Der Kerl am Telefon hat seinen Namen nicht genannt. Er meinte nur, dass ich ab jetzt noch achtundvierzig Stunden Zeit hätte, um sie wieder freizubekommen. Sonst würde man sie in den Osten bringen und an einen Zuhälter verkaufen. Das kann doch nur einer aus der Clique von Junis gewesen sein. Die Nummer war unterdrückt. Ich will Viola zurück.«

Immer wieder fuhren Sigrids Hände über Holgers Haar. Mit ruhiger Stimme sprach sie ihm Trost zu, während Lars fieberhaft nach einer Lösung suchte.

»Wir müssen die Polizei einschalten. Die werden deine Freundin schon finden. Es kann doch nicht sein, dass mitten in Deutschland jemand einen Menschen kidnappt und so versucht, Schulden einzutreiben. Das sind Methoden wie im Wilden Westen. Ich werde die jetzt anrufen und den Fall schildern.«

Schon als Lars sich erheben wollte, schrie Holger auf und zerrte an seinem Ärmel.

»Keine Bullen. Auf keinen Fall dürft ihr die Polizei reinziehen. Die bringen Viola sonst um. Ihr wisst nicht, mit wem ihr es zu tun habt. Die haben keine Skrupel, jemandem den Kopf abzuschneiden, wenn man nicht tut, was sie wollen. In der Szene weiß man das. Wer bei denen Schulden hat, zahlt besser.«

»Aber wie stellst du dir das vor, Holger«, redete nun Sigrid auf ihn ein. »Wir haben das Geld nicht, wenn du glaubst, dass wir dir helfen könnten. Wir mussten für das Dach im letzten Monat eine neue Hypothek aufnehmen. Wir haben gerade noch so viel, dass wir überleben können. Ich kann nicht einmal Miriam den Tanzkursus bezahlen. Womit willst du deine Freundin also auslösen?«

»Ich weiß es nicht, Mama, ich weiß es einfach nicht. Ich muss zu ihm und verhandeln. Vielleicht kann ich die Schulden abstottern.«

Lange hatte Lars zugehört und seinen Ärger zurückgehalten. Jetzt platzte ihm der Kragen.

»Wie blind bist du eigentlich? Hat dir das verdammte Koksen den Verstand geraubt? Dazu muss ich kein Mathegenie sein, um mir ausrechnen zu können, dass du nicht einmal deine Zinsen dadurch abtragen kannst, wenn du das abstotterst. Mit jeder Stunde, die du wartest, erhöhen sich unaufhaltsam deine Schulden. Wenn du nichts verdienst und keine Rücklagen besitzt, hast du keine Chance, dich jemals aus dieser Misere zu befreien. Der hat dich in der Hand.«

»Ich werde dann wohl für ihn arbeiten müssen. Das ist meine einzige Chance, Viola zu befreien. Er hat mir das vor Monaten angeboten.«

»Moment, Holger. Habe ich mich gerade vielleicht verhört?«, mischte sich Sigrid wieder ein und rüttelte an Holgers Arm. »Du willst für dieses Schwein, das deine Freundin entführt hat, auch noch arbeiten? Hast du jetzt völlig den Verstand verloren? Das lasse ich nicht zu. Das wirst du auf keinen Fall tun. Du verkaufst keine Drogen an Kinder und treibst dich nicht an Schulen herum.«

»Da gebe ich deiner Mutter recht, Holger. Das wäre wohl das Letzte, was passieren dürfte. Dann besuchen wir dich eines Tages im Gefängnis. Es muss einen Weg geben, das zu regeln. Lass mich nachdenken.«

»Papa, es gibt keinen anderen Weg, wenn ihr kein Geld habt. Ich kenne auch sonst niemanden, der mir helfen könnte. Ich werde Junis anrufen und ihm sagen, dass ich ...«

Alle Augen richteten sich auf Miriam, die im Eingang zum Wohnzimmer erschienen war und ungläubig dem letzten Teil der Unterhaltung gefolgt war.

»Habe ich das richtig verstanden, dass dieser Hirni, der sich als mein Bruder bezeichnet, zukünftig Drogen verhökern will? Ist das so? Dann garantiere ich ihm, dass ich ihn bei der Polizei anzeigen werde. Ich will mit solchen Typen nicht in einen Topf geworfen werden. Das ist dann nicht mehr mein Bruder.«

»Miriam, um Gottes willen. So was darfst du nie mehr sagen. Du versündigst dich. Wir sind eine Familie und halten in jeder Situation zusammen. Das betrifft vor allem Holger, der jetzt unsere Hilfe braucht.« Miriam blickte ihren Vater erstaunt an, der aus seinem Vorwurf ihr gegenüber keinen Hehl machte. »Es geht auch um Viola, die kaum älter sein dürfte als du. Dass die beiden einen Riesenfehler gemacht haben, will keiner hier wegdiskutieren. Doch nun müssen wir uns der Situation stellen, in die sie sich hineinmanövriert haben.«

»Siehst du, Papa, genau das meine ich«, bemerkte Miriam trotzig, »sie haben sich selbst dahin gebracht. Und jetzt sollen wir plötzlich helfen. Immer wenn es dem lieben Bruder gerade in den Kram passt oder er in der Scheiße sitzt, muss die Familie helfen. Das sehe ich einfach nicht ein. Glaubt ihr vielleicht, dass ich das in den letzten Jahren nicht mitbekommen habe, wie ihr dem Loser ständig Geld in den Hintern geschoben habt? Ich musste dafür auf manchen Wunsch verzichten. Denkt nur mal an die Klassenfahrt nach Südfrankreich, wo ich nicht mitfahren konnte, da angeblich kein Geld da war. Kurz vorher war dieser Junkie bei uns und hat gebettelt. Das finde ich richtig beschissen.«

Alle fuhren erschrocken zusammen, als Holger aufsprang und zur Tür stürzen wollte. Seine Mutter hielt ihn an der Jacke zurück.

»Du setzt dich verdammt noch mal sofort wieder hin. Dass es irgendwann einmal auf den Tisch kommt, war doch zu erwarten. Miriam hat sogar recht mit dem, was sie sagt. Es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass wir Viola da wieder rausholen müssen. Frage mich allerdings nicht, wie wir das anstellen sollen. Das Geld wächst schließlich nicht im Garten.«

»Ich will euer beschissenes Geld aber nicht mehr«, schrie Holger seiner Mutter ins Gesicht und wollte sich losreißen. Die Ohrfeige, die er dafür von Lars erhielt, wirkte wie eine Explosion und ließ alle im Raum erstarren. Sofort stellte sich bei Lars Reue ein, da er die Fassung verloren hatte. Eine für ihn ungewohnte Lage, da er stets auf absolute Kontrolle aus war und solche Entgleisungen nicht tolerierte. Auch sein plötzliches Stottern zeigte, wie ihn das berührte.

»Es ... es tut mir leid. Das wollte ... ich meine, dass es mir wirklich leidtut. Aber etwas Dankbarkeit hätte ich von dir schon erwartet. Schließlich haben wir das viele Geld, was dein Drogenkonsum verschlungen hat, nicht einfach aus den Ärmeln geschüttelt. Das wurde vom Mund abgespart. Spiel deshalb nicht den Beleidigten und verstehe deine Schwester.«

Es trat augenblicklich eine Stille ein, die diese Spannung wiedergab, die im Raum vorherrschte. Selbst Miriam, die nur schlecht ihren Mund halten konnte, wirkte noch immer geschockt von der ungewohnten Emotion ihres Vaters. Holgers Hand lag noch immer auf der Wange, an der ihn der heftige Schlag des Stiefvaters getroffen hatte. Wie in Zeitlupe setzte er sich wieder, den Blick vorwurfsvoll auf Lars gerichtet.

»Das hat dein Vater nicht so gemeint. Er hat sich entschuldigt und wird immer zu dir halten, mein Kind.«

»Er ist nicht mein Vater. Das werde ich ihm niemals vergessen. Es wird der Tag kommen, an dem ich ihn daran erinnern werde und ...«

»... was willst du dann tun, du elender Versager«, konterte Miriam, der anzumerken war, wie sehr der Zorn in ihr hochkochte. Statt ihrem Vater dankbar zu sein für alles, was er bisher für Holger getan hatte, schwor er Rache für eine läppische Ohrfeige. »Man hätte dich in der Gosse liegen lassen sollen, in der du dein Leben fristest. Anständige Jungen erlernen einen Beruf und sorgen dafür, dass sie später eine Familie ernähren können. Du schmieriger Penner ziehst dir Koks in den hohlen Kopf und erwartest, dass ein Mann, der für deine Geburt keine Schuld trägt, das alles bezahlt. Mit alles meine ich dein Lotterleben, Essen, Trinken, Koksen und Vögeln. Zu mehr bist du doch nicht fähig. Du bist Sklave deiner animalischen Lust. Du kotzt mich an. Krieche zurück in das Loch, aus dem du hierher gefunden hast, und lass uns weiter in Frieden leben.«

Absolut verärgert zog Lars Olsson seine Tochter zu sich auf die Couch und legte ihr seine mächtige Hand auf den Mund, bevor sie in ihrer Schimpfkanonade...