Bushido - Die Seele Japans

Bushido - Die Seele Japans

von: Inazo Nitobe

epubli, 2022

ISBN: 9783756521364 , 138 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 2,99 EUR

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Bushido - Die Seele Japans


 

 

BUSHIDO ALS ETHISCHES SYSTEM


Ritterlichkeit ist eine Blume, die in der Erde Japans nicht weniger heimisch ist als ihr Symbol, die Kirschblüte, auch ist sie kein vertrocknetes Exemplar einer uralten Tugend, die im Herbarium unserer Geschichte konserviert wird. Sie ist bei uns immer noch ein lebendes Objekt der Macht und Schönheit, und auch wenn sie keine greifbare Form annimmt, reichert sie doch die moralische Atmosphäre an und macht uns bewusst, dass wir immer noch unter ihrem wirkungsvollen Zauber stehen. Die Gegebenheiten der Gesellschaft, die sie geschaffen und genährt haben, sind schon lange verschwunden, aber so wie die weit entfernten Sterne, die nicht mehr existieren, immer noch ihre Strahlen auf uns werfen, so beleuchtet das Licht der Ritterlichkeit, welche ein Kind des Feudalismus war und diese sie hervorbringende Institution überlebt, weiterhin unseren moralischen Weg. Es ist für mich ein Vergnügen, dieses Thema in der Sprache Burkes zu behandeln, welcher die bekannte berührende Eulogie an der Totenbahre ihres europäischen Vorbilds hielt.

Ein trauriger Mangel an Informationen über den Fernen Osten offenbart sich, wenn ein solch gelehrter Wissenschaftler wie Dr. George Miller nicht zögert, zu behaupten, dass weder unter den Völkern des Altertums noch der modernen Orientalen je Ritterlichkeit existierte2 . Solche Ignoranz ist allerdings vollauf entschuldbar, da die dritte Auflage des Werkes des guten Doktors im selben Jahr erschien, in dem Commodore Perry an die Portale unseres Exklusivismus pochte. Mehr als ein Jahrzehnt später, ungefähr zu der Zeit, als unser Feudalismus in den letzten Zügen lag, richtete Karl Marx in seinem „Das Kapital“ die Aufmerksamkeit seiner Leser auf den besonderen Vorteil des Studiums der sozialen und politischen Institutionen des Feudalismus, die zu jener Zeit nur in Japan in ihrer aktiven Form betrachtet werden konnten. Ich möchte die westlichen Studenten der Geschichte und Ethik auf die gleiche Weise dazu einladen, die Ritterlichkeit im heutigen Japan zu studieren.

So verführerisch eine historische Abhandlung über die Vergleiche zwischen Feudalismus und Ritterlichkeit in Europa und Japan wäre, ist es doch nicht der Zweck dieses Texts, ausführlich darauf einzugehen. Mein Bestreben ist es, folgendes darzulegen: erstens den Ursprung und die Quellen unserer Ritterlichkeit, zweitens ihren Charakter und ihre Lehren, drittens ihren Einfluss auf die Massen und viertens ihre Kontinuität und das Fortbestehen ihres Einflusses. Von all diesen Punkten wird der erste nur kurz und oberflächlich behandelt werden, sonst müsste ich meine Leser auf die gewundenen Pfade unserer Geschichte führen, auf den zweiten werde ich ausführlicher eingehen, da er wahrscheinlich für Studenten Internationaler Ethik und Vergleichender Ethologie hinsichtlich unserer Denkweisen und Handlungen am interessantesten ist, die restlichen Punkte werden begleitend behandelt.

Das japanische Wort, das ich grob mit Ritterlichkeit übersetzt habe, ist im Original ausdrucksstarker als Reitkunst. Bu-shi-do bedeutet wörtlich Militärische-Ritter-Verhaltensweisen – die Verhaltensweisen, welche adlige Krieger sowohl in ihrem Alltagsleben wie auch bei ihrer Berufung befolgen sollten, zusammengefasst, die „Gebote des Rittertums“, die noblesse oblige der Kriegerklasse. Nachdem ich somit die wörtliche Bedeutung erläutert habe, mag es mir von nun an gestattet sein, das Wort im Original zu benutzen. Die Benutzung des Originalbegriffs ist auch deshalb ratsam, weil eine so eingegrenzte und einzigartige Lehre, welche ein so besonderes, so lokales, geistiges und charakterliches Bewusstsein zur Folge hat, das Abzeichen der Einzigartigkeit tragen muss. Außerdem haben einige Worte ein nationales Timbre, das lokale Charakteristiken so gut ausdrückt, dass selbst die besten Übersetzer ihnen kaum gerecht werden können, sondern ihnen Unrecht tun. Wer kann durch eine Übersetzung verbessern, was das deutsche „Gemüt“ bedeutet, und wer spürt nicht den Unterschied zwischen zwei sprachlich so eng verbundenen Worten wie dem englischen gentleman und dem französischen gentilhomme?

Bushido ist also der Kodex moralischer Prinzipien, welche die Ritter zu befolgen hatten. Es ist kein schriftlicher Kodex, er besteht höchstens aus einigen Maximen, die mündlich überliefert wurden oder aus der Feder eines bekannten Kriegers oder Gelehrten flossen. Häufiger ist es ein unausgesprochener und ungeschriebener Kodex, welcher tatsächliche Handlungen beurteilt, ein Gesetz, das auf die fleischlichen Tafeln des Herzens geschrieben wurde. Er wurde nicht von einem Gehirn, wie fähig auch immer, oder dem Leben einer einzigen Person, wie angesehen auch immer, begründet. Er entwickelte sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte militärischen Lebens. Vielleicht hat er in der Geschichte der Ethik dieselbe Position inne wie die englische Verfassung in der politischen Geschichte, und doch ist er nicht mit der Magna Charta oder dem Habeas Corpus Act zu vergleichen. Es stimmt, im frühen siebzehnten Jahrhundert wurden Militärgesetze (Buké Hato) verkündet, aber ihre dreizehn kurzen Paragraphen befassten sich überwiegend mit Ehen, Schlössern, Bündnissen etc. und didaktische Regeln wurden nur knapp behandelt. Deshalb können wir keine spezifische Zeit, keinen spezifischen Ort nennen und sagen: „Da ist die Quelle.“ Nur im Hinblick auf das Bewusstsein für ihn im Feudalzeitalter, seine zeitlichen Ursprünge, kann er mit dem Feudalismus gleichgesetzt werden. Aber der Feudalismus selbst ist ein Geflecht aus vielen Fäden, ebenso wie Bushido. Während man sagen kann, dass die politischen Institutionen des Feudalismus in England auf die Zeit der normannischen Eroberung zurückgehen, können wir sagen, dass er in Japan zeitlich mit Yoritomo aufstieg, im späten zwölften Jahrhundert. Und doch, Elemente des Feudalismus sind in England weit vor der Zeit von Wilhelm dem Eroberer zu finden und die Saat des Feudalismus in Japan gab es ebenfalls schon lange vor der von mir erwähnten Epoche. Wie in Europa erlangten zudem auch in Japan die Berufskrieger mit der offiziellen Einführung des Feudalismus Bedeutung. Diese wurden als samurai bekannt, wörtlich bedeutet es wie das alte englische cniht (Knecht, Ritter) Wärter oder Begleiter – vom Wesen her den soldurii ähnlich, deren Existenz in Aquitanien Cäsar erwähnt, oder den comitati, welche laut Tacitus zu seiner Zeit germanischen Häuptlingen folgten, oder, um einen späteren Vergleich zu erwähnen, den milites medii, über die man in der Geschichte des mittelalterlichen Europas liest. Auch ein sino-japanisches Wort, Bu-ké oder Bu-shi (kämpfende Ritter) wurde in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen. Sie waren eine privilegierte Klasse und scheinen ursprünglich eine raue Gruppe gewesen zu sein, die das Kämpfen zu ihrer Berufung machte. Diese Klasse wurde in einer lange Phase ständiger Kriege natürlich aus den Männlichsten und Abenteuerlichsten rekrutiert und der Prozess der Eliminierung dauerte stetig an, die Zaghaften und Schwachen wurden aussortiert und nur „eine grobe Rasse, völlig maskulin, von animalischer Kraft“, um Emersons Ausdruck zu verwenden, überlebte, um Familien und die Reihen der samurai zu gründen. Nachdem ihnen große Ehren und zahlreiche Privilegien gewährt wurden, damit einhergehend große Verantwortung, verspürten sie bald das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Verhaltensstandard, insbesondere da sie einander kriegerisch gegenüberstanden und zu unterschiedlichen Clans gehörten. Genau wie Ärzte aus beruflichem Entgegenkommen den Wettbewerb untereinander begrenzen, genau wie Anwälte sich im Fall verletzter Etikette vor einem Ehrengericht verantworten müssen, so müssen auch Krieger über eine Möglichkeit verfügen, über ihre Vergehen ein endgültiges Urteil sprechen zu lassen.

Anständiges Verhalten im Kampf! Welch fruchtbare Saat der Moral liegt in dieser schlichten Begrifflichkeit aus unzivilisierten Anfangszeiten. Ist es nicht die Wurzel aller militärischen und bürgerlichen Tugenden? Wir lächeln (als ob wir darüber hinausgewachsen wären!) über den jungenhaften Wunsch des kleinen Briten, Tom Brown, „als ein Bursche in Erinnerung zu bleiben, der nie einen kleinen Jungen gequält oder sich einem großen nicht gestellt hat“. Und doch, wer weiß nicht, dass dieser Wunsch der Eckpfeiler ist, auf dem moralische Konstruktionen von gewaltigen Ausmaßen aufgebaut werden können? Kann ich nicht sogar so weit gehen, zu behaupten, dass die sanfteste und friedliebendste aller Religionen diese Bestrebung unterstützt? Dieser Wunsch Toms ist die Grundlage, auf welcher die Größe Englands größtenteils ruht, und wir werden nicht lange brauchen, um zu erkennen, dass Bushido auf keinem geringeren Podest steht. Wenn das Kämpfen an sich, ob nun offensiv oder defensiv, brutal und falsch ist, so wie die Quäker zu Recht behaupten, können wir immer noch mit Lessing sagen: „Wir wissen, aus welchen Fehlern unsere Tugend keimt.“3 „Kriecher“ und „Feiglinge“ sind Schimpfnamen, die für gesunde, einfache Gemüter die schlimmste Schmähung bedeuten. Die Kindheit beginnt das Leben mit diesen Begriffen, das Rittertum ebenfalls, aber während das Leben sich ausdehnt und seine Beziehungen vielseitig werden, sucht der frühe Glaube bei höheren Autoritäten und vernunftbegabteren Quellen Bestätigung für seine eigene Rechtfertigung, Befriedigung und Entwicklung. Wenn militärische Interessen allein agiert hätten, ohne höhere moralische Unterstützung, wie weit wäre das Ideal des Rittertums von der Ritterlichkeit abgewichen! In Europa machte das Christentum der...