Leitfaden zum Eigenbetriebsrecht - Praxishandbuch für Baden-Württemberg

Leitfaden zum Eigenbetriebsrecht - Praxishandbuch für Baden-Württemberg

von: Ulrich Kiedaisch

Kohlhammer Verlag, 2022

ISBN: 9783170430020 , 187 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 28,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Leitfaden zum Eigenbetriebsrecht - Praxishandbuch für Baden-Württemberg


 

4Entscheidung über die Rechtsform


4.1Vorbemerkung


Der Entscheidung, eine bisher im Kernhaushalt und in der Verwaltungsorganisation integrierte öffentliche Aufgabe in einer anderen Rechtsform wahrzunehmen, sollte ein strukturierter Abwägungsprozess vorausgehen, um die Vor- und Nachteile sowie die Konsequenzen der Entscheidung sorgfältig abzuwägen. Die Entscheidung, ob ein Eigenbetrieb gegründet wird, trifft der Gemeinderat (§ 39 Abs. 2 Nr. 12 GemO).

Mögliche Gründe für eine Ausgliederung können kommunalpolitische, organisatorische, steuerliche oder wirtschaftliche Überlegungen sein.

Im Einzelnen kann es darum gehen, z. B.

–  die Entscheidungs- und Verwaltungsprozesse zu straffen sowie die Aufgabenerfüllung zu verbessern,

–  die Personalbeschaffung (Gewinnung hoch qualifizierter Mitarbeiter und Führungskräfte) flexibler zu machen bzw. zu vereinfachen,

–  Kosten zu reduzieren und damit möglichst auch Gebühren zu senken,

–  eine andere Finanzierung und Kapitalbeschaffung zu ermöglichen,

–  den kommunalen Haushalt zu entlasten.

4.2Abwägungskriterien


Nachfolgend sind einige Kriterien in der Abgrenzung zur Organisation des Regiebetriebs im Kernhaushalt dargestellt:

Abwägungskriterien bei den Überlegungen zur Gründung eines Eigenbetriebs

Kriterien

Regiebetrieb

– im Gemeindehaushalt

Eigenbetrieb

Entscheidungsstrukturen

– Willensbildung durch Gemeindeorgane – Gemeinderat als Hauptorgan

– Willensbildung durch Betriebsleitung und Betriebsausschuss und Gemeinderat

Steuerungs- und ­Einflussmöglichkeiten

– sehr groß, Regelungen in der Hauptsatzung

– sehr groß, bei Gestaltungsspielräumen in der Betriebssatzung (z. B. Entscheidungsdelegation auf Betriebsleitung und Betriebsausschuss)

Wirtschaftliche ­Betrachtung

– Wirtschaftliche Anstrengung „verpufft“ im Gesamthaushalt, Gesamtdeckungsprinzip

– Größere Motivation, da selbstständiger abgegrenzter Bereich; stärkere Ergebnisverantwortung

Gebühren-/Entgeltfestsetzung

– Gemeinderat

– Regelung in Betriebssatzung, bei Satzungen (Gebühren) Gemeinderat

 § 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO

Personalwirtschaft

– Dienstherreneigenschaft hat die Gemeinde als Gebietskörperschaft

– Wie im Regiebetrieb, da Eigenbetrieb rechtlich unselbstständig ist

Kreditwirtschaft

– Genehmigungspflicht für die Kreditermächtigung durch die Rechtsaufsicht

– Gemeinde als Sicherheit, hohe Bonität mit Kommunalkreditkonditionen

– Keine Insolvenzfähigkeit (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

– Wie bei Regiebetrieb, allerdings Erleichterungen bei Kreditaufnahmen, sofern der Kapitaldienst (Zins und Tilgung) im Eigenbetrieb erwirtschaftet werden kann (Gebührenhaushalt)

Beteiligung der ­Rechtsaufsicht

– Vorlage- und ggf. Genehmigungspflicht für den Haushaltsplan

– Anzeigepflicht für die Betriebssatzung

– Vorlage- und ggf. Genehmigungspflicht für den Wirtschaftsplan

Vergabewesen

– VOB, nach § 98 GWB und § 31 GemHVO i. V. m. VgV

Beteiligung Dritter 

– Keine Beteiligung möglich

– Keine Beteiligung durch Dritte möglich

– Alternative: Zweckverband, Kommunalanstalt oder GmbH (§§ 102 ff. GemO)

Steuerrecht

– als Betrieb gewerblicher Art ggf. ertragssteuerpflichtig

– Umsatzsteuer nach § 2b UstG

– Keine Steuerpflicht bei hoheitlichen Aufgaben

4.3Entscheidungsgründe


In der Beschlussvorlage zur grundsätzlichen Entscheidung, eine öffentliche Aufgabe in der Rechtsform des Eigenbetriebs zu führen, sollten die wichtigsten Aspekte dieser Rechtsform sowie die Vor- und Nachteile dargestellt werden8. Es geht darum, insbes. die organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Vorteile, die Stärkung der Aufgaben- und Finanzverantwortung in den Vordergrund zu stellen.

4.3.1Organisatorische Selbstständigkeit


Die Eigenbetriebe haben im Rahmen der Gesamtverwaltung eine Sonderstellung. Das Eigenbetriebsrecht ermöglicht es – je nach Ausgestaltung in der Betriebssatzung – die Zuständigkeiten der Organe so zu regeln, dass eine im Vergleich zur Kernverwaltung wirtschaftlichere und effizientere Betriebsführung ermöglicht wird.

4.3.2Organe des Eigenbetriebs


Neben den kommunalen Organen der GemO (Gemeinderat und Bürgermeister), lässt das EigBG mit dem Betriebsausschuss und der Betriebsleitung weitere (fakultative) Organe zu, die allerdings nur dann zum Tragen kommen, wenn sie durch Regelung in der Betriebssatzung installiert werden (siehe auch unter 4.3.2.2 und 4.3.2.3).

4.3.2.1Betriebsleitung (§§ 4–6 EigBG)

Nach § 4 Abs. 1 EigBG kann eine Betriebsleitung bestellt werden, d. h. die Einrichtung einer Betriebsleitung ist freiwillig und dies muss ggf. in der Betriebssatzung geregelt werden. Sofern keine Betriebsleitung bestellt wird, übernimmt der Bürgermeister diese Funktion (§ 10 Abs. 3 EigBG).

Die Betriebssatzung kann bestimmen, dass die Betriebsleitung eine andere Bezeichnung führt. Mittlerweile wird in der Praxis häufig der Begriff „Geschäftsführung“ verwandt, da dieser geläufiger ist. Je nach Größe des Eigenbetriebs kann die Betriebsleitung auch aus mehreren Personen bestehen. Häufig findet man in der Praxis die Doppelstellung von kaufmännischer und technischer Betriebsleitung (z. B. bei Abfall- und Abwasserbetrieben oder Stadtwerken).

Wird eine Betriebsleitung bestellt, so ist diese durch den Gemeinderat zu wählen (§ 24 Abs. 2 i. V. m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 GemO). Werden mehrere Personen zur Betriebsleitung bestellt, so sind in einer Geschäftsordnung die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten zu regeln. Der Gemeinderat kann einen Betriebsleiter zum ersten Betriebsleiter bestimmen, dessen Stimme bei Meinungsverschiedenheiten dann ausschlaggebend ist.

Die Betriebsleitung hat gegenüber der klassischen Amtsleitung eine herausgehobene Funktion. Durch die Organstellung und der Regelung in § 5 Abs. 1 EigBG („Die Betriebsleitung leitet den Eigenbetrieb, soweit in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes nichts anderes bestimmt ist. Ihr obliegt insbes. die laufende Betriebsführung. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit ist sie für die wirtschaftliche Führung des Eigenbetriebs verantwortlich.“) hat sie eine für die Aufgaben des Eigenbetriebs bürgermeisterähnliche Funktion. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die Zuständigkeit des Bürgermeisters durch § 10 Abs. 1 EigBG eingeschränkt wird (siehe auch 3.2.1.4).

Wichtig ist – wie bei allen Führungspositionen –, dass die Position der Betriebsleitung gut besetzt wird. In kleineren und mittleren Kommunen wird man i. d. R. keine zusätzlichen Stellen schaffen, sondern diese Position mit Führungspersönlichkeiten der Gemeinde (Kämmerer/Kämmerin, Bauamtsleitung etc.) besetzen. Die Betriebsleiter können auch in ein Beamtenverhältnis auf Zeit berufen werden; die Amtszeit beträgt acht Jahre (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EigBG).

Die Aufgaben der Betriebsleitung sind in § 5 EigBG geregelt und umfassen insbes.:

–  Leitung des Eigenbetriebs (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EigBG),

–  Laufende Betriebsführung (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EigBG),

–  Wirtschaftliche Führung des Eigenbetriebs (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EigBG),

–  Vorbereitung und Vollzug von Beschlüssen des Gemeinderats oder des Betriebsausschusses (§ 5 Abs. 2 EigBG),

–  Personalangelegenheiten (§ 11 Abs. 2 und 3 EigBG),

–  Informationspflicht gegenüber Bürgermeister und Fachbediensteten für das Finanzwesen (§ 5 Abs. 3 EigBG).

Der Begriff der „laufenden Betriebsführung“ ist ein unbestimmter Rechtsgebegriff. Grundsätzlich umfasst die laufende Betriebsführung alle Geschäfte, die für die Gemeinde weder von grundsätzlicher Bedeutung sind, noch erhebliche finanzielle Auswirkungen auf den Wirtschaftsplan haben und die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren. Die laufende Betriebsführung umfasst insbes. alle Aufgaben, die nicht dem Betriebsausschuss oder dem Gemeinderat zugeordnet sind und nicht an die Betriebsleitung delegiert werden können. Der Gemeinderat kann durch die Betriebssatzung auch die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1–3 EigBG dem Betriebsausschuss vorbehaltenen Aufgaben auf die Betriebsleitung übertragen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 EigBG). Die genauen Aufgaben sowie die Wertgrenzen in der Abgrenzung...