Die Blumen von Havanna - Eine Milieu-Studie

Die Blumen von Havanna - Eine Milieu-Studie

von: Ine? Sytham

Tredition, 2022

ISBN: 9783347713062 , 129 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Blumen von Havanna - Eine Milieu-Studie


 

2

Ankunft

Der Weiterflug – unspektakulär.

Ich bin müde, verschwitzt, freue mich auf Elaine.

Und da steht sie.

Schmal, kurze schwarze Haare, eine Lady, zierlich und wunderschön mit ihren Mandelaugen und der zarten Figur. In engen Hosen, mit dem herrlichen Lächeln der Willkommensfreude.

Ganz zauberhaft sieht sie aus – und ihre Augen strahlen und sie öffnet die Arme für mich und ich fühle eine solche herzliche Wärme und echte Freude, dass ich da bin und es mich gibt, dass ich feuchte Augen bekomme.

Dieser Moment wischt jeden Zeitunterschied weg, es ist, als hätten wir uns gestern erst getrennt. Sie ist voller zwitschernder Lebensfreude, kauft mir eine Cola, wir reden durcheinander, Englisch, Spanisch und sie sprüht vor Glück, weil da jemand von so weit her gekommen ist, um mit ihr zu sein.

Antuan, ihr geschiedener Mann, schüchtern, sanft im Hintergrund, sein Freund mit Frau, alle quetschen wir uns in ein winziges Auto, rostig und zerbeult, alt und klapprig; die Türe wird mit einem dicken Bindfaden geschlossen.

Durch die schwüle Palmennacht drängen die Gerüche ins Wageninnere – die Luft ist blau geschwängert von Abgasen, eine ferne Ahnung von Meer, Gebratenem, Ananas-Duft…

Die Straßen sind zugemüllt mit verrosteten Eimern, Plastikkübeln, ausgedienten Kühlschränken, Sandalen, Speise-Abfällen. Leere Kokosnussschalen, Cola-Dosen, zerfledderte Zeitungen, Unrat überall; dazwischen magere streunende Katzen und Hunde.

Wir fahren durch viele Winkel und Abzweigungen und irgendwann hält das Auto in Centro de Habana, vor einem riesigen Hochhaus im Slumviertel. Elaines Zuhause im vierten Stock.

Ein schmaler Eingang mit düsterem Hausflur und verschmuddeltem Aufzug.

Enge und Museumsgeruch.

Antuan nimmt meinen Koffer und alles ist so unglaublich schmutzig und schmal - und einfach wunderbar.

Hier anzukommen, bei Elaine.

Ihre kleine Tochter ist da, Veronica, aufgedreht, quietschig und lebendig. Sie hat mich bereits einen Tag vorher am Flughafen erwartet, (mein Telegramm wurde nie abgesandt, wie ich erfahre) – sie wollte mich mit abholen kommen, und dieser kleine fröhliche Spatz wird dann irgendwann zu Bett gebracht.

Elaine und ich sitzen auf einem riesigen Klapp-Bett, das mir für die erste Nacht dient, und wir trinken Wein und lachen, plaudern, reden, scherzen im Nachthemd über das Tanzen, die Kultur hier in Cuba und in Deutschland, über Männer, Politik, alles geht kunterbunt durcheinander. In dieser stickigen Schwüle, gegen die ein kleiner Ventilator vergebens ankämpft; lässt jede Bewegung den Schweiß strömen.

Ich öffne den Koffer mit den Geschenken und Elaine strahlt über die neuen Tanzschuhe (noch nie hat sie welche besessen und sie ist doch Salsatanzlehrerin) freut sich über die neuen Jeans, die Sommerhosen und Wickelröcke, die Kosmetik, das Parfüm.

Alles Dinge, die sie hier in Cuba nur sehr schwer oder gar nicht bekommen kann.

Veronica ist eingeschlafen - in einer Kinderfaust ein kleines abgebrochenes Stückchen Schokolade vom mitgebrachten Riesen-Schokoladentier und das ganze Mädelchen schmiegt sich an den Kuschel-Teddybären, der beinah doppelt so groß ist wie das kleine Persönchen selbst.

Sie träumt glücklich und mit einem Kinderlächeln.

Und in mir ist dieses wunderbar gemischte Gefühl, einerseits ein bisschen "Weihnachtsfrau " spielen zu dürfen, andererseits willkommener Gast zu sein.

Und Elaine nimmt alles mit so leichter Würde und lachender Freude an, dass es für uns beide angenehm wird, dass Schenken etwas Natürliches bleibt und nicht den von mir befürchteten Beigeschmack der Überheblichkeit birgt.

Nichts Schweres oder Peinliches hat Raum.

Irgendwann schlafe ich ein, spüre noch die schwesterliche Umarmung warm im Herzen - von Elaine im kurzen, blauen Nachthemd.

Geliehene Geborgenheit…

Die Wohnung.

Am nächsten Morgen ist Elaine in ihrer neuen Tanzschule und ich habe den Vormittag für mich zum Ausruhen, Ankommen. Ich liege noch etwas auf ihrem breiten Bett – Zwischenzeit - die Augen geschlossen.

Es war spät gestern Nacht ich fühle mich klebrig, schmutzig.

Möchte duschen.

Aber hier ist Cuba.

Die Dusche verschenkt keinen noch so minimalen Wasserstrahl.

Wasser ist hier kostbar und wird von der Regierung kontrolliert - erst ab 18:00 Uhr gilt die Erlaubnis, Wasser zu schöpfen oder zu duschen; und für genau eine Stunde fließt es aus den Hähnen.

So findet allabendlich ein „run“ mit Kübeln, Töpfen, Eimern und Tassen statt, alle Familienmitglieder helfen zusammen, um für die Länge des nächsten heißen Tages kostbares Wasser einzusammeln, zum Trinken, waschen und kochen.

Also erfrische ich mich spärlich mit einem Rest meines Mineralwassers – Nothygiene.

Und Kindheitserinnerungen

Wasser als unendlich kostbare Ressource. Ich sehe noch meine Mutter, mit hochrotem Kopf angestrengt schwere Eimer aus dem Gartenbrunnen hochziehen… becherweise durften wir Kinder es trinken, mit etwas Zitronensaft… nur wenig, sehr wenig zur Körperhygiene verwenden, sonst drohte ein Hagel an Ohrfeigen…Manchmal, zur Belohnung, brachte sie einen Extra-Eimer (Extra-Arbeit!) mit kaltem Brunnenwasser in einem grauen Blecheimer an den Sandkastenund ich durfte „verschwenden“… manchmal fand ich einen Molch darin, der mit seinem schieferfarbenen grazilen Leib und dem zierlich geformten Kopf Wonneschauer in den vorsichtig berührenden Kinderhänden auslöste… und von ihnen später dann sanft wieder in seine Welt entlassen wurde…

Dann lasse ich die Bilder auf mich wirken von dieser Wohnung, in der meine Freundin in Anmut und Würde versucht, mit ihrer kleinen Tochter zu leben.

Der Ausblick durch das vergitterte Fenster präsentiert ein Hinterhofmilieu, dunkle, nahezu verfallene Gebäude, mit Balkonen, die teilweise schief oder lebensbedrohlich nur noch an einer Seite an Eisenhaken hängen.

Jedoch – versteckt, wie ein kleiner Blick ins Paradies auch dies:

Als winziger Lichtpunkt in all diesem Grau und Braun und Moder und Verfall gibt es einen Balkon mit Grün, in einer kleinen Wohn-Oase, zwischen all den ungeliebten Balkonen; Pflanzen, Blumen, eine verstaubte Palme; da muss ein Mensch wohnen, der noch Sehnsucht hat nach Leben.

Ich bemühe mich, einen uralten Espresso-Kocher zum Arbeiten zu bewegen und den wirklich hervorragenden Mokka aus Havanna zu genießen

- prompt verbrenne ich mir die Finger, da der Aluminium-Deckel nur noch an einem Scharnier hängt.

Ein heraushängender Lichtschalter - mühsam von zwei Drähten gehalten - sprüht kleine blaue Funken, als ich vorsichtig versuche, in die düstere Küchennische ein wenig Helligkeit zu zaubern.

Und während ich aufmerksam in die so ganz andere, spezielle Atmosphäre dieser Wohnung eintauche, wird mir bewusst,

in welchem Reichtum ich doch lebe!

Neben dem uralten Geruch nach Verfall, bitterster Armut, feuchten Mauern, dem eindringlicheren metallenen Duft nach Rost und klammer Wäsche fühle ich trotzdem noch etwas ganz besonderes hier:

Es ist diese eine, ganz bestimmte Schwingungen von Menschlichkeit und Herzlichkeit -

diese Wohnung lebt!

Der Wasserboiler hängt rostig und schief außen, im schmalen Schacht zwischen den Hochhausmauern, ein Gewirr von Schnüren führt von der Tiefe des Erdgeschosses bis zu dem sehr weit entfernten winzigen Stückchen Viereck Himmel, ganz oben… behängt mit sorgfältig ausgewaschenen Plastiktüten, geflickten, teils zerschlissenen, doch sauberen Wäschestücken, Unterhosen friedlich neben Arbeitsjacken, Damenstrümpfe einträchtig neben winzigen Kindersöckchen.

Im Kombi-Küchenwohnraum offenbart eine nackte Neonbirne schrill und unbarmherzig die Erbärmlichkeit von abgeplatztem Emaille, zertretenen Fliesen, zerlöcherten Plastik-Tischdecken.

Zersprungenes Linoleum auf dem Boden, abgeschabter Stoff auf den beiden Stühlen. Ein uralter Kühlschrank - bauchig und gewichtig aus den fünfziger Jahren - wärmt eher die Speisen als dass er sie kühlt. Zu wenig Strom, oder - manchmal eben gar keiner.

Den einzigen Luxus in der Wohnung stellt ein Fernseher dar, auch er bereits ein älterer Herr.

Und ich erinnere mich an meine Backpackers-Zeiten - und eine kleine Ecke des winzigen Wohnzimmers verwandelt sich geschwind in einen 1 m²-Kleiderschrank für meine Habseligkeiten:

es ist sehr einfach, ich öffne meinen Koffer, hänge zwei Kleiderbügel am Fensterbrett auf für meine beiden Tanzkleider, stelle meine Schuhe darunter - fertig.

Und als Elaine nach Hause kommt,
starten wir fröhlich
zu einem Spaziergang über den Markt in Centro de...